Am 28.09.2001 erschien in der FAZ, Nr. 226, Seite 49 ein Artikel mit dem Titel
"Wut ist der Schlüssel - Warum der Terrorismus nur ein Symptom
ist", verfasst von ARUNDHATI ROY. Die Schriftstellerin lebt in Neu Delhi. 1996 erschien ihr Roman "Der Gott der kleinen Dinge" (Blessing Verlag). Die vierzigjährige Arundhati Roy ist die literarische Stimme Indiens. Sie berichtet von den Taten und Qualen der Globalisierung in ihrem Land. Roy ist nicht nur die berühmteste und erfolgreichste Schriftstellerin des Landes, sie vermag vor allem uns Westlern die Augen für einen uns längst verloren gegangenen aber notwendigen Blick zu öffnen. Der o.g. Artikel sei deshalb jedem empfohlen, der zwei Augen hat, zwei Hirnhälften besitzt und an die Symmetrie der Welt glaubt. |
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nachfolgende Hinweise:
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die verletzte Seele der Amerikaner:
Der Golfkrieg kostete über 1 Million Menschen das Leben, und über 500 000 irakischen Kinder sind infolge des amerikanischen Wirtschaftsembargos gestorben. Was mögen die betroffenen Muslime empfunden haben, als die ehemalige Außenministerin der Vereinigten Staaten Madeleine Albright danach befragt, antwortete, dass es zwar eine sehr schwere Entscheidung war, doch der Preis, alles in allem, nicht zu hoch gewesen sei? Wenn der Gedanke der Symmetrie lange genug fehlt, sind es eben die "Begleiterscheinungen", die die Welt aus den Fugen geraten lassen.
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die
Abschreckung:
Amerikas Ausstattung, seine ausgefeilte Technik, sein nukleares Arsenal, sein ganzes Kapital und sogar ihre gegenwärtige Logik taugen plötzlich nicht mehr zur Abschreckung, wenn Abschreckung an sich wirkungslos wird, und sie wird es, wenn man es mit Menschen zutun hat, die Ihr Leben zu geben bereit sind. Plötzlich ist das "Prinzip des Gegenüber" nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Bisher konnte man die Bösen bekämpfen, und nun macht man die prinzipiellere Erfahrung, dass dennoch das Böse bleibt. Das lange vernachlässigte Geistprinzip macht auf sich aufmerksam, weil es unbemerkt durch den Zoll und durch jede Gepäckkontrolle kommt. In Form von Teppichklingen und Taschenmesser macht es mit der Gewalt einer Atombombe auf sich aufmerksam.
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Der
Präsident und der Terroristenführer:
Beide wenden sich mit einer Sprache an das Volk, die dem anderen kein Lebensrecht gibt. Beide sind arrogant und setzen sich mit Gott gleich, neben dem kein anderer Platz hat. Beide greifen auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zurück, und beide verstricken sich zunehmend in politische Verbrechen. Selbst der Terrorismus hat zwei Seiten, denn auch die Islamisten werfen den Amerikanern wirtschaftlichen Terrorismus vor.
Präsident Bush kann die Welt ebenso wenig "von den Übeltätern befreien" wie Usama Bin Ladin sie mit Heiligen besetzen kann. Würden sie die heiligen Gesetze hinter Geistes und Materie kennen, dann fänden auch sie die Gedanken absurd, den Terrorismus der anderen Seite mit Gewalt auszumerzen.
Der Präsident beteuert, dass seine Abscheu nicht dem Islam gilt, sondern den Islamisten. Usama Bin Ladin beteuert das gleiche. Sein Haß gälte ebenso wenig dem amerikanischen Volk, sondern der Politik ihrer Regierung.
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grenzenlose
Gerechtigkeit:
Wer von "grenzenloser Gerechtigkeit" spricht, darf Amerikas Kriege nicht vergessen. Dieser unvorstellbare Genozid ist nicht deshalb von geringerer Bedeutung weil er außerhalb der Grenzen von Amerika stattfand. Er blieb nicht ohne Spuren: Korea, Vietnam, Kambodscha oder die Operation Wüstensturm im Irak forderten Millionen Tote. Die Rückwirkung des Todes von Muslimen wird nun nach dem 11.09. dramatisch nachvollziehbar. Wir werden wieder an die Toten erinnert, als Israel mit Unterstützung Amerikas 1982 im Libanon einmarschierte oder an die Tausende Palästinenser, die im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlands den Tod fanden. In Jugoslawien, Somalia, Haiti, Chile, Nikaragua, El Salvador, Panama oder in der Dominikanischen Republik starben weitere Millionen Menschen im Namen eines gerechten Krieges.
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die
Frage nach dem Feind:
Wohin soll die Gewalt sich wenden? Wen gilt es zu vernichten? Wer hat den Feind geboren?
Wenn man den Feind nicht findet, wird man nach so starken Worten der wütenden Masse einen Feind erfinden müssen. Mit anderen Worten, Usama Bin Ladin müsste von den Amerikaner erfunden werden, wenn es ihn denn nicht schon gäbe. Tatsächlich ist er in gewissem Sinne von den Amerikaner auch erfunden worden. Dieser Mann gehörte zu den Kämpfern, die 1979 nach Afghanistan gingen und von der CIA aufgebaut worden. Die Kämpfer sind ein Teil dessen, was sie bekämpfen. Haben wir uns die Gewalt, die von außen auf uns zukommt selber zugefügt?
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